Bereits in den 1990er Jahren wurde der Begriff Emotionale Intelligenz populär. Er entwickelte sich aus der Sozialen Intelligenz weiter und verdeutlichte, dass für beruflichen Erfolg – insbesondere in Führungspositionen – mehr als nur klassische Intelligenz und Fachkompetenz erforderlich ist.
Trotz wissenschaftlicher Debatten über verschiedene Intelligenzmodelle (u.a. Alfred Binets Intelligenzmodell, Howard Gardners Theorie der multiplen Intelligenzen oder Daniel Golemans Konzept der Emotionalen Intelligenz) bleibt eines unbestritten: Wer seine Emotionen bewusst steuern kann, hat klare Vorteile im Umgang mit Menschen und herausfordernden Situationen.
Zwischen Reiz und Reaktion: Die Macht der Emotionskompetenz
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
– Viktor Frankl
Einleitung: Die Zukunft der Kompetenzen
Dieser Blogartikel ist der siebte und letzte Teil unserer Serie über die „Kompetenzen der Zukunft“. Zu Beginn befassten wir uns mit der Vielfalt der Kompetenzen und deren Entwicklung in der Berufswelt. Danach beleuchteten wir „Achtsamkeit“ als Basiskompetenz für zukünftige Fähigkeiten. In den letzten Artikeln haben wir bereits folgende Kompetenzen behandelt:
Heute widmen wir uns der Emotionskompetenz – einer Fähigkeit, die essenziell für Führungskräfte, Teamarbeit und persönliche Entwicklung ist.
Unsere innere Schatzkiste
Jeder Mensch trägt eine persönliche Schatzkiste mit sich, bestehend aus:
- Vererbung
- Erziehung
- Persönlichen Erfahrungen
- Kulturellem Kontext
- Sozialem Umfeld
- Lebensphase und Alter
Aus dieser Schatzkiste formen sich unsere Werte, Einstellungen und Haltungen, die wiederum unser Verhalten beeinflussen. Konflikte entstehen, weil nicht alle Menschen die gleichen Werte und Bedürfnisse haben – hier setzt die Emotionskompetenz an.
Praxisbeispiel: Homeoffice-Konflikt
Nach der Corona-Pandemie ermöglicht eine Abteilung ihren Mitarbeitern, selbst zu entscheiden, wann sie im Büro oder im Homeoffice arbeiten. Während einige von der neuen Flexibilität profitieren, entstehen Probleme:
- Fehlende Abstimmung in wichtigen Fragen
- Soziale Isolation einzelner Mitarbeitender
- Arbeitszeiteinteilung nach individuellen Interessen, ohne Rücksicht auf Teamprozesse
Die Abteilungsleiterin gibt dem Team drei Wochen Zeit, eine bessere Struktur zu entwickeln – jedoch ohne Ergebnis. Daraufhin legt sie feste Büro- und Homeoffice-Tage fest. Das Team reagiert empört. Die Führungskraft fühlt sich unverstanden, die Mitarbeitenden wiederum bevormundet.
Wie kann Emotionskompetenz helfen?
Hier kommt die Emotionskompetenz ins Spiel: Die gegenseitigen Vorwürfe erschweren eine konstruktive Lösung. Doch durch bewusste Reflexion und emotionale Regulation könnte die Situation deeskaliert werden.
Die Bestandteile der Emotionskompetenz
Unser Verhalten ist eine Reaktion auf unsere Bedürfnisse und Werte. Da diese individuell unterschiedlich sind, kann es zu Missverständnissen kommen. Eine entscheidende Erkenntnis ist: Jedes Verhalten dient zunächst dem Handelnden selbst, auch wenn es als Angriff auf andere empfunden wird.
Diese Einsicht kann zu einer emotionalen Entlastung führen. Doch sie erfordert eine bewusste Reflexion zwischen Reiz und Reaktion. Unser Gehirn ist darauf programmiert, schnell und energiesparend zu reagieren, oft auf Basis alter Denkmuster. Deshalb ist es entscheidend, sich bewusst Zeit für folgende Schritte zu nehmen:
- Wahrnehmung (Wie reagiert mein Körper? Welches Gefühl tritt auf?)
- Reflexion (Welche meiner Werte oder Überzeugungen werden getriggert?)
- Offenheit (Kann ich die Perspektive meines Gegenübers akzeptieren, auch wenn ich nicht einverstanden bin?)
- Bewertung (Wie relevant ist das Thema wirklich für mich oder meinen Verantwortungsbereich?)
- Entscheidung (Welche Rolle übernehme ich? Wie reagiere ich – kooperativ, kollaborativ oder konfrontativ?)
Übung: Die Veränderung der Wahrnehmung
Diese Technik stammt aus der Toolbox des RKW Kompetenzzentrums und hilft, die eigene Wahrnehmung bewusst zu steuern:
- Setze dich entspannt hin und fokussiere deinen Blick auf einen beliebigen Gegenstand.
- Konzentriere dich vollständig darauf und beobachte deine Körperreaktion:
o Wie verändert sich deine Atmung?
o Wie fühlt sich deine Körperspannung an?
o Welche Gedanken entstehen? - Löse nun den Fokus von diesem Objekt und nimm bewusst die gesamte Umgebung wahr.
- Achte auf deine Atmung und auf Geräusche um dich herum.
- Vergleiche dein Empfinden vor und nach der Übung.
Diese Technik verdeutlicht, dass allein durch eine bewusste Veränderung des Fokus unsere Wahrnehmung und somit unser emotionales Erleben beeinflusst werden können.
Sidekick: Emotionskompetenz ≠ Nett sein
Oft wird Emotionskompetenz mit „nett sein“ verwechselt. Doch gerade als Führungskraft ist es entscheidend, Klarheit über die Situation und die eigenen Erfordernisse zu bewahren. Die Kunst liegt darin, sowohl kooperativ als auch klar in der eigenen Position zu bleiben.
Hier einige Reflexionsfragen für deine eigene Emotionskompetenz, inspiriert durch Klaus Eidenschink (Die Kunst des Konflikts, 2021):
Erkundungs- oder Zuhörkompetenz:
- Wie gut kann ich strittige Fragen aus verschiedenen Perspektiven betrachten
- Bleibt mein Selbstwert stabil, auch wenn ich andere nicht von meiner Meinung überzeugen kann?
- Wie abhängig bin ich davon, dass mein Gegenüber erkennt, dass er falsch liegt?
- Kann ich akzeptieren, dass ich nicht immer „ankomme“?
Sendekompetenz:
- Wie wohl fühle ich mich damit, mich in den Vordergrund zu stellen
- Wie gehe ich damit um, anderen das Wort zu verbieten oder die Kontrolle über ein Gespräch zu übernehmen
- Bin ich in der Lage, klar und direkt meine Position zu vertreten?
Fazit: Emotionskompetenz gezielt fördern
Die Welt ist im Wandel, Organisationen ebenso. Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Coaches sollten sich bewusst mit Emotionskompetenz auseinandersetzen, um neue Kompetenzmodelle, Führungsentwicklungsprogramme und Organisationsdesigns gezielt zu gestalten.
Quellen:
Eidenschink, K. (2021). Die Kunst des Konflikts. München: Manager Magazin.
Goleman, D. (1995). Emotionale Intelligenz: Warum sie mehr zählt als der IQ. München: Droemer Knaur.
Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag.
Pfläging, N., & Hermann, S. (2015). Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag.
Wohland, G., & Wiemeyer, M. (2012). Denkwerkzeuge der Höchstleister: Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen. UNIBUCH.
Bert Kruska
VORSPRINGER & Transformationscoach
Wer lebt - stört.
Wenn sich Unternehmen im Sinne einer Transformation wirklich tiefgreifend verändern wollen, braucht es ein neues Verständnis von Veränderung. Das bedeutet für uns:
Weniger Veränderung IM bestehenden Organisationssystem und mehr Veränderung AM Organisationssystem.
Weniger Planen, Kontrollieren und Steuern von Veränderung und mehr Raum für das Entstehen lassen von Veränderung.
Weniger einen statischen Zustand A in einen statischen Zustand B überführen und mehr Veränderung als natürlichen, niemals endenden Prozess sehen.
Wer diese Perspektiven einnimmt, fragt nicht mehr nach dem Ende der Transformation, sondern nach dem Ende des Stillstands.
Die schlechte Nachricht:
Transformation bedeutet entgegen der Spielregeln des bestehenden Systems zu handeln. Und das erfordert jede Menge Entschiedenheit, Mut und Vertrauen.
Die gute Nachricht:
Entschieden, mutig und vertrauensvoll neue Wege zu gehen fördert gleichzeitig Entschiedenheit, Mut und Vertrauen in der Organisation.
Ist Veränderung für dein Unternehmen ein notwendiges Übel oder Ausdruck der unternehmenseigenen Lebendigkeit?
Bist du bereit entschieden voranzuschreiten?
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