Achtsamkeit ist eine Form der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit nach innen und außen. Solange es Menschen gibt, gibt es Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, sonst gäbe es uns gar nicht mehr.
Google reagiert auf das Stichwort Achtsamkeit in 0,26sec mit 24.900.000 Beiträgen, also ein alter Hut?
Wieso soll das auf einmal eine Basiskompetenz der „Kompetenzen der Zukunft“ sein?
Einleitung
Im letzten Blogartikel gab es einen Einblick in die wunderbare Welt der unzählbaren Kompetenzen. Wie sie als Anforderung in der Berufswelt entstanden sind und welche erweiterten Kompetenzen wir heute für mutiges, zukunftsorientiertes Handeln brauchen.
Heute geht es weiter mit der Kompetenz „Achtsamkeit“ als Basiskompetenz der Kompetenzen der Zukunft (RKW Kompetenzzentrum Eschborn): Komplexitäts-, Kontakt- und Beziehungs-, Paradoxie-, Generative und Emotionskompetenz, denen wir uns dann im Einzelnen in den nachfolgenden Artikeln widmen werden.
Tatsache ist, dass wir Menschen schon immer uns und unsere Umwelt wahrgenommen haben, mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit, und damit oft unser Überleben gesichert haben.
Heute gibt es vielfältige Theorien und Modelle zu dem Thema, angefangen bei Buddha vor über 2.000 Jahren, weiter über Modelle von Kabat-Zinn, Brown und Ryan, Bishop u.a. aus den letzten Jahrzehnten. Sie lassen sich alle in der einschlägigen Fachliteratur finden.
Weiter herunter gebrochen wächst die Zahl der Anbieter für Workshops, Lehrgänge usw., um alle möglichen Achtsamkeitsmethoden zu erlernen und damit die eigene Lebensqualität zu verbessern – ein sehr ergiebiges Geschäftsfeld mit einer Gratwanderung zwischen Wirksamkeit und Zynismus.
Basiskompetenz Achtsamkeit
Teamleiter P. hat sich intensiv auf die anstehende Teamrunde vorbereitet. Die PowerPoint Präsentation mit Bullet-Points steht. Nach der freundlichen Begrüßung erörtert P. hochkonzentriert die Bullet-Points mit den vorbereiteten Aussagen. Im Anschluss beantwortet er einige Fragen, die ausschließlich auf den Vortrag fokussiert sein dürfen. Zufrieden mit dem effizienten Vortrag geht P wieder in sein Büro.
Das Team atmet auf und diskutiert weiter darüber, was auch vor dem Meeting Gesprächsinhalt war, ein Gerücht des Flurfunks bezüglich der Kündigung eines Kollegen. Der Vortrag ist vergessen.
Von klein auf bekommen wir beigebracht uns zu konzentrieren, in der Schule, Uni oder Ausbildung geht es fröhlich damit weiter. Ohne Konzentration keine guten Ergebnisse. Diesem Bild folgend hat P. alles richtig gemacht.
Mit wachsender Anzahl an Herausforderungen und Möglichkeiten haben wir uns aber auch Multifunktionsfähigkeiten angeeignet. Wir essen, lesen und führen nebenbei Gespräche; wir fahren Auto, hören Podcasts und bedienen das Navi; wir schreiben Texte, beantworten nebenbei E-Mails und denken im Stillen über die Gäste des heutigen Abends nach – in der Überzeugung konzentriert zu sein, meistens aber verbunden mit Abstrichen in der Qualität der zu erfüllenden Aufgaben.
Jenseits von Konzentration und Multifunktionalität stellt sich die Frage: Sind wir auch in der Lage aufzunehmen, was JETZT in uns und um uns herum passiert?
Die ständig wachsende Zahl von inneren (Ehrgeiz, Zweifel, Überforderung, schlechtes Gewissen, Euphorie usw.) und äußeren (Leistungsdruck, Verantwortlichkeit, Markt, Mitarbeitenden Probleme usw.) Einflüssen fordert uns unterschiedlich und lässt förderlichen Eu-Stress oder hinderlichen Di-Stress entstehen.
Spätestens hier kommt dann Achtsamkeit ins Spiel. Wir alle unterliegen dem Reiz-Reaktion Schema. Oft hilft es uns aufgrund unserer Erfahrungen in brenzligen Situationen blitzschnell eine rettende Entscheidung zu treffen.
In vielen nicht existenziellen Situationen führt es allerdings oft zu vorschnellen Reaktionen, die mehr Schaden anrichten als nötig. Achtsamkeit lässt uns in wesentlichen Momenten innehalten, der „Scheinwerfer“ ist nicht nur auf das Objekt der Konzentration (P.s Vortrag) ausgerichtet, sondern leuchtet als „Streulicht“ auch den Kulissenraum aus (das Team).
Die Kunst liegt einmal mehr im UND. Die Konzentration halten UND das Umfeld wahrnehmen, nicht zu verwechseln mit der o.a. Multifunktionsfähigkeit, bei der ja augenscheinlich alles mit hoher Konzentration durchgeführt wird (was mittlerweile wissenschaftlich eindeutig widerlegt ist).
Einige weitere Beispiele:
Ein Bereichsleiter bespricht ein Projekt mit seinen Führungskräften. Nimmt er auch wahr, wer neben der Agenda mit Problemen befasst ist, die den Ablauf des Projekts stören können?
Ein Vertriebsbeauftragter spricht mit einem potenziellen Kunden. Ist er nur auf sein Produkt fokussiert und den möglichen Bonus? Oder nimmt er auch die Bedürfnisse und den Kontext des Kunden wahr?
Eine Führungskraft grübelt Abend für Abend zu Hause über die betrieblichen Probleme. Bringt sie auch die Achtsamkeit auf, die Bedürfnisse des eigenen Körpers zu erspüren und zu bedienen?
Achtsamkeit als Basiskompetenz fördert zunächst immer die eigene Selbstführung und ist damit elementarer Bestandteil bei der Anwendung jeglicher Kompetenzen, insbesondere auch der Kompetenzen der Zukunft.
Wann kann Achtsamkeit eine Hürde sein?
Viele Veröffentlichungen weisen darauf hin, dass ein einseitiger oder übertriebener Achtsamkeitskult, (oft angefeuert durch „Achtsamkeitsgurus“) zu hinderlichen Ergebnissen führt, z.B.:
- wenn ich mich so sehr als Individuum abgrenze, dass ich mich nicht mehr als wertbeitragender Teil einer Gemeinschaft sehe,
- wenn ich beim Blick nach innen alle Belastungen als meine eigene Schuld bewerte und (besonders als Führungskraft) den Blick nach außen verliere auf die veränderbaren Rahmenbedingungen.
- funktionierende Nächstenliebe setzt Selbstliebe voraus. Durch falsch verstandene Achtsamkeit kann ich die Selbstliebe so erhöhen, dass ich meiner eigenen Weiterentwicklung im Wege stehe.
Wie kann ich Achtsamkeit üben und stärken?
Zwei Beispiele:
Übung 1: Fokus und Umfeld
Setze dich hin und wähle in deinem Umfeld einen Gegenstand aus, den du ansiehst.
Konzentriere dich ganz auf diesen Gegenstand.
Was siehst, denkst und fühlst du? Wie ist deine Körperspannung? Wie atmest du? Bleibe mit deiner ganzen Konzentration bei diesem Gegenstand.
Nach max. 2min löse den Blick und nimm von deinem Platz alle visuellen Eindrücke auf, der zuvor fokussierte Gegenstand kann dabeibleiben. Nimm bewusst alle Dinge wahr, aber verharre bei keinem für längere Zeit.
Nimm jetzt zusätzlich bewusst alle vorhandenen Geräusche wahr.
Was siehst, denkst und fühlst du? Wie ist deine Körperspannung? Wie atmest du?
Beende die Übung nach max. 2min.
Welche Unterschiede kannst du beschreiben? Wie leicht oder schwierig waren die beiden Wahrnehmungen? Was kannst du tun, um in zukünftigen, wichtigen Situationen im UND zu sein, bzw. schnell zu switchen?
Übung 2: Mein Blick nach innen
Nimm dir vor einem wichtigen Gespräch/Meeting 5min Zeit und setze dich auf einen ruhigen Platz.
Mit Blick auf die anstehende Situation horche, sehe, fühle in dich hinein.
Was kannst du erspüren: Freude, Sorge, Erwartungsdruck, Gewissheit, Zweifel……?
Jetzt reflektiere diese Wahrnehmungen und leite daraus möglichst bewusste Handlungsoptionen ab, wie du in die anstehende Situation hineingehst.
Ausblick
Die Welt ist im Wandel und somit auch jede Organisation und die darin arbeitenden Menschen. Du als Führungskraft, HR-Verantwortlicher, Coach oder Berater baust gerade neue Kompetenzmodelle, Organisationsdesigns, Führungskräfteentwicklungsprogramme oder andere Personalentwicklungsinstrumente für dein Unternehmen?
In dieser Beitrag Serie beschreibe ich die erwähnten „Kompetenzen der Zukunft“ im Einzelnen näher und mache sie mit erlebten Praxisbeispielen aus unseren Befähigungsformaten und Projekten greifbar.
Quellen:
Erpenbeck, J. (2012). Kompetenz. Festschrift Prof. Dr. John Erpenbeck zum 70. Geburtstag (W. G. Faix, Hrsg.; Bd. 4). Steinbeis School of International Business and Entrepreneurship GmbH.
Herling, S. (2022). Kompetenzen der Zukunft (RKW Kompetenzzentrum, Hrsg.; Heft 1-6). RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V.
Pfläging, N., & Hermann, S. (2015). Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag.
Wohland, G., & Wiemeyer, M. (2012). Denkwerkzeuge der Höchstleister: Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen. UNIBUCH.
Autoren der Wikimedia-Projekte. (2003, 13. Juli). Kompetenz – Wikipedia. Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. https://de.wikipedia.org/wiki/Kompetenz
Bert Kruska
VORSPRINGER & Transformationscoach
Wer lebt - stört.
Du gabst uns stets das wohlige Gefühl, zu wissen, dass die Dinge gut werden, wenn nur jeder das macht, was ihm aufgetragen wird. Dank dir wussten wir immer genau, welche Aufgaben wir ohne schlechtes Gewissen ablehnen konnten, ohne dabei den von dir vorgezeichneten Karrierepfad zu gefährden. Es hatte schlicht etwas Bequemes, sich nicht um Dinge kümmern zu müssen, die wir nicht formal verantworten mussten.
Wer deine Kreativität unterschätzte wurde zeitlebens eines Besseren belehrt. Für jedes organisationale Problem hattest du die passende Stellenausschreibung parat. Wo wären wir heute ohne Chief Happiness Officer, Innovationsmanager oder Transformationskatalysatoren?
Unsere dynamisch vernetzte Welt machte dir jedoch kürzlich sichtbar zu schaffen. Stellenbeschreibungen, die immer detaillierter und länger wurden. Unsummen an Fähigkeiten, die kein Mensch mehr allein verkörpern konnte. Anforderungen an Berufserfahrungen, die viele Kandidaten ungläubig mit dem Kopf schütteln ließen. Dein Wunsch, die stetig wachsende Komplexität der Welt auf eine Summe messbarer Einzelteile herunterzubrechen, war ein hehrer – jedoch von Beginn an zum Scheitern verurteilt.
Wir verurteilen dich aber nicht. Leistung zu messen und zu bewerten ist und bleibt wichtig. Persönliche Klarheit und Verantwortlichkeit im Beitrag für das Unternehmen unverzichtbar. Die richtigen Menschen mit den richtigen Kompetenzen an Bord zu holen einer der Schlüssel für nachhaltigen Erfolg.
Der Weg dorthin wird in Zukunft jedoch eine andere Form annehmen. Weniger Personenkult, mehr Verbindung zum Unternehmenszweck. Weniger Funktionserfüllung, mehr Arbeit in dynamischen Rollen. Weniger Anpassung, mehr Gestaltung. Weniger Individuum, mehr Team. Weniger Fokus auf die Einzelteile, mehr Fokus auf die Verbindungen. Darauf freuen wir uns!
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