Ihre Lieblingsfarbe?
„Grau – aber nicht zu grau. Mehr so grün-grau, ins Bräunliche. Eine Art braun-grau mit grün. Ein braun-grün-grau. Es schadet auch nichts, wenn es ein bisschen ins Bläuliche hinüberspielt. Hauptsache, es ist grau – braun-grau. Vielleicht auch mit einem Hauch von Rot. Ein braun-rot, aber im Ganzen grau. Also, ein grünlich-blaues braun-rot-grau.““
Wer kennt nicht diese Szene von Loriot, in der Herr Blöhmann bei der Paartherapeutin alle Farben durcheinanderbringt, um bloß keine falsche Entscheidung zu treffen? So ähnlich fühlen sich manchmal Entscheidungen in Unternehmen an, bei denen jede Option ihre Konsequenzen hat.
Wie schön wäre die (Unternehmens-)Welt in Ordnung, wenn Pläne nicht nur vorbereitet und durchdacht wären, sondern auch ungestört ausgerollt und umgesetzt werden könnten. Und wenn die Prämissen, die zur Erstellung der Pläne geführt haben, nicht ständig durch gegensätzliche Einflüsse gestört würden.
Einleitung
Dies ist der fünfte Blogartikel in unserer Serie. Zuerst haben wir uns mit der Vielfalt an Kompetenzen befasst und wie sie als Anforderungen in der Berufswelt entstanden sind. Danach folgte ein Artikel über „Achtsamkeit“ als Basiskompetenz für die „Kompetenzen der Zukunft“. Zu diesen gehören die Komplexitäts-, Kontakt- und Beziehungs-, Paradoxie-, Generative und Emotionskompetenz. In den letzten Artikeln haben wir bereits die Komplexitätskompetenz sowie die Kontakt- und Beziehungskompetenz besprochen. Heute widmen wir uns der Paradoxiekompetenz.
Werfen wir einen Blick auf bekannte Kompetenzmodelle, fällt auf, dass die Paradoxiekompetenz in den letzten Jahrzehnten kaum Beachtung fand. Solange in der Industrie mit riesigen Losgrößen gearbeitet werden konnte, und es ausschließlich um die Effizienzsteigerung von Prozessen ging, denen sich der Mensch als Human Ressource anzupassen hatte, reichte die Einordnung in richtig oder falsch, schnell oder langsam, gut oder böse, viel oder wenig usw.
Mit zunehmender Komplexität reicht das „entweder-oder“ aber oft nicht mehr aus. Stattdessen müssen Entscheidungen unter Berücksichtigung mehrerer widersprüchlicher Einflüsse getroffen werden („Und“ / „Sowohl als auch“). Trotzdem sind Führungskräfte und Mitarbeitende täglich gefordert, Entscheidungen zu treffen.
Paradoxiekompetenz in der Praxis
Ein mittelständisches Unternehmen mit hoher Arbeitsauslastung führt ein ERP-System ein, um Wachstum und den Aufbau neuer Märkte zu unterstützen. Auf den ersten Blick eine eindeutige, richtige Entscheidung. Doch die Einführung bindet so viele Ressourcen, dass das operative Geschäft leidet – Kunden sind unzufrieden, und es kommt zu Umsatzverlusten.
Hier zeigt sich die Notwendigkeit von Paradoxiekompetenz: Wenn alle Beteiligten das „We before Me“ leben, lassen sich solche Widersprüche meistern. Transparente Kommunikation kann dabei auf die Zufriedenheit von Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten und der Unternehmensentwicklung einzahlen.
Beispiel 2: Führungsentscheidung zwischen Homeoffice und Büropräsenz
Nach der erfolgreichen Einführung des Homeoffice während der Coronakrise steht ein mittelständisches Unternehmen nun vor der Frage, wie es die Balance zwischen Homeoffice und Büropräsenz regeln soll. Die Geschäftsleitung hat andere Interessen als Mitarbeitende, und auch die Erfordernisse des Betriebsablaufs spielen eine Rolle.
Dies sind nur einige Punkte, allen Lesenden werden schnell noch etliche mehr einfallen. Von der Geschäftsleitung einseitig festgesetzte Regeln werden schnell zu Frustrationen führen. In Zeiten von Fachkräftemangel werden diejenigen, die eher ungebunden sind, schnell in einem dynamischeren Unternehmen ihren Platz finden.
Es gibt kein simples Rezept. Paradoxiekompetenz bedeutet, gegensätzliche Pole zu erkennen und dann für jeden Kontext (jenseits von richtig und falsch) passende Dosierungen zu verproben und im Austausch mit allen Beteiligten den Mut zu haben, Anpassungen vorzunehmen.
Beispiel 3: Umgang mit dem Qualitätsanspruch
Ein großes Sanitätshaus ist für seine Qualität aller Produkte bekannt. Immerhin geht es darum, dass die mit Gesundheitsproblemen belasteten Kunden mit den Produkten ihren Alltag bestmöglich erleichtern sollen. Deshalb sind auch nur Mitarbeitende eingestellt worden, die sich mit dem Qualitätsanspruch identifizieren.
Neben der Qualität steht aber auch die Betrachtung der Kosten-Nutzen Analyse. Was ist, wenn der durchschnittliche Kunde die 100% High End Lösung nicht bezahlen kann oder will, z.B. bei einer individuell angefertigten Prothese?
Hier stellt sich die Frage: Reichen auch 98% oder 85% Qualität aus? Und wieviel kosten die letzten 1% an Perfektion?
Die Paradoxie liegt darin, den hohen Qualitätsanspruch zu bewahren, aber gleichzeitig wirtschaftlich zu bleiben – ohne dabei Kunden oder Mitarbeitende zu verlieren.
Beispiel 4: Paradoxien im Umgang mit sich selbst
Führungskräfte stehen oft vor inneren Konflikten: Familie oder Karriere, Vertrauen oder Kontrolle, Durchsetzen oder Kooperieren. Viele sagen, die Familie sei ihnen das Wichtigste, arbeiten aber trotzdem 60-80 Stunden die Woche.
Manche Führungskraft fragt nach der Beförderung im Coaching nach, ob sie jetzt noch mit den Geführten befreundet sein darf oder kann.
Manches Unternehmen hat „Vertrauen“ auf dem Werteplakat an der Wand im Sozialraum stehen. Bestellungen über 5,- Euro müssen aber vom Abteilungsleiter genehmigt werden.
Führungskräfte mit Weitblick und ohne Angst vor Autoritätsverlusten stellen Mitarbeitende ein, die die Aufgaben, für die sie eingestellt wurden, besser ausführen als sie selbst. Sie begrenzen die Möglichkeiten des Teams nicht an den eigenen Kompetenzgrenzen, sondern erweitern sie.
Auch hier wird wieder erkennbar, sich mit den Polen der Widersprüche auseinander zu setzen ist Voraussetzung dafür, bewusste Entscheidungen mal in der einen, mal in der anderen Richtung zu treffen, um vor sich selbst bestehen zu können.
Zusammenfassung der Paradoxiekompetenz
- Bewusst vom Entweder-Oder zum Sowohl-Als-Auch wechseln.
- Entscheidungskonsequenzen für den Organisationszweck abwägen – kurz-, mittel- und langfristig.
- Komplexe Zusammenhänge und widersprüchliche Einflüsse berücksichtigen.
- Konflikte als Chance sehen, um gemeinsame Lösungen zu finden.
- Paradoxien über Zeit, Menschen und Unternehmensbereiche hinweg dosiert lösen – statt zentralistischer Entscheidungen von oben.
- Innovationen fördern und „out of the box“-Lösungen finden.
Alles eine Sache der Übung
Eine Methode zur Stärkung der Paradoxiekompetenz ist das Arbeiten mit den „de Bono Hüten“. Bei dieser Methode wird eine Entscheidung aus fünf verschiedenen Perspektiven beleuchtet:
- Weiß: Neutrales, analytisches Denken (Zahlen, Daten, Fakten)
- Rot: Subjektive, emotionale Sichtweise (Gefühle und Widersprüche)
- Schwarz: Kritisches Denken (Risiken, Ablehnungen)
- Gelb: Optimistisches Denken (Chancen, Nutzen)
- Grün: Kreatives Denken (innovative Ideen)
- Blau: Überblick und Struktur (geordnetes Denken)
Für den persönlichen Umgang mit Paradoxien eignet sich auch die Eigenschaftsbalance nach Friedemann Schulz von Thun:
Ausblick
Die Welt ist im Wandel und somit auch jede Organisation und die darin arbeitenden Menschen. Du als Führungskraft, HR-Verantwortlicher, Coach oder Berater baust gerade neue Kompetenzmodelle, Organisationsdesigns, Führungskräfteentwicklungsprogramme oder andere Personalentwicklungsinstrumente für dein Unternehmen?
In dieser Beitrag Serie beschreibe ich die erwähnten „Kompetenzen der Zukunft“ im Einzelnen näher und mache sie mit erlebten Praxisbeispielen aus unseren Befähigungsformaten und Projekten greifbar.
Quellen:
Herling, S. (2022). Kompetenzen der Zukunft (RKW Kompetenzzentrum, Hrsg.; Heft 1-6). RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V.
Pfläging, N., & Hermann, S. (2015). Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag.
Wohland, G., & Wiemeyer, M. (2012). Denkwerkzeuge der Höchstleister: Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen. UNIBUCH.
Bert Kruska
VORSPRINGER & Transformationscoach
Wer lebt - stört.
Wenn sich Unternehmen im Sinne einer Transformation wirklich tiefgreifend verändern wollen, braucht es ein neues Verständnis von Veränderung. Das bedeutet für uns:
Weniger Veränderung IM bestehenden Organisationssystem und mehr Veränderung AM Organisationssystem.
Weniger Planen, Kontrollieren und Steuern von Veränderung und mehr Raum für das Entstehen lassen von Veränderung.
Weniger einen statischen Zustand A in einen statischen Zustand B überführen und mehr Veränderung als natürlichen, niemals endenden Prozess sehen.
Wer diese Perspektiven einnimmt, fragt nicht mehr nach dem Ende der Transformation, sondern nach dem Ende des Stillstands.
Die schlechte Nachricht:
Transformation bedeutet entgegen der Spielregeln des bestehenden Systems zu handeln. Und das erfordert jede Menge Entschiedenheit, Mut und Vertrauen.
Die gute Nachricht:
Entschieden, mutig und vertrauensvoll neue Wege zu gehen fördert gleichzeitig Entschiedenheit, Mut und Vertrauen in der Organisation.
Ist Veränderung für dein Unternehmen ein notwendiges Übel oder Ausdruck der unternehmenseigenen Lebendigkeit?
Bist du bereit entschieden voranzuschreiten?
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