Ein Gedankenimpuls zum direkten Arbeiten am System
Warum gibt es Unternehmen?
Zum Einstieg noch einmal (sehr verkürzt) zur Erinnerung:
Aus der Evolutionsforschung wissen wir, dass ein wesentlicher Grund für den Erfolgsweg des Menschen über die Jahrtausende in seiner Fähigkeit zur Kooperation und vor allem Kollaboration begründet ist.
Hat ein einzelner Mensch eine Idee, wie er die Probleme anderer sinnvoll und wirksam lösen kann, aber nicht allein, sucht er Mitstreiter*innen und gründet mit diesen ein Unternehmen.
Unternehmen lösen also mit ihren Mitarbeiter*innen wirtschaftlich tragfähig die Probleme ihrer Kunden und Kundinnen.
Im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende (der Wandel von den Jägern und Sammlern in die sesshafte Gesellschaft begann vor ca. 10000 Jahren mit der massiven Verbreitung des Weizens) bildeten sich unzählige Unternehmen vom Kleinbetrieb bis zum weltumspannenden Konzern.
Der Wandel und seine Konsequenzen
Welche tiefgreifenden Wandel dabei jeweils vollzogen wurden durch soziale und technische Veränderungen, ist vielfach nachlesbar (z.B. Kondratjew-Zyklen mit besonderem Blick auf die letzten ca. 200 Jahre).
Heute stehen viele Unternehmen vor der Frage, ob sie weitermachen können wie bisher, was eher möglich ist, wenn wenig Wettbewerb und sichere Märkte vorhanden sind. Oder ob sie sich ganz oder teilweise in eine Transformation begeben müssen, um der Dynamik der Märkte, ausgedrückt durch starken Wettbewerb, digitale Erfordernisse, technische Entwicklungen – mündend in andere Kundschafts- und Mitarbeiter*innenbedürfnisse, gewachsen zu sein.
An dieser Stelle folgen meistens theoretische Abhandlungen, worüber Unternehmensleitungen und Führungskräfte nachdenken sollten, um Veränderungen in Gang zu setzen.
Wie können Führungskräfte wirksam werden?
Wie sieht es aber mit Werkzeugen aus, die Führungskräfte direkt ausprobieren können, um bei Veränderungsbedarf zu intervenieren? Mit dem Blick auf die Balance zwischen „Steuern und Entstehen lassen“ und der Intention „am System“ zu wirken?
Matthias Varga von Kibéd wird das Zitat zugeschrieben: „Wenn Du meinst, ein System verstanden zu haben, nimm ein Aspirin und warte, bis der Anfall vorbei ist.“
Eine Schlussfolgerung daraus ist, statt bis in den letzten Winkel das Unternehmenssystem zu ergründen, über das „Machen“ Interventionen an den Stellen anzustoßen, an denen deutliche Probleme identifizierbar sind, die auf die Kundschafts- und/oder Mitarbeiter*innenzufriedenheit und damit auf die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens einzahlen.
An den Reaktionen aus dem System lassen sich nach dem „Erleben“ aus dem „Machen“ deutliche „Erkenntnisse“ ableiten, wie sperrig oder wandlungsbereit die Organisation sich zeigt.
Schritt für Schritt werden Denk-, Handlungs- und Entscheidungsmuster, aus denen das Unternehmenssystem besteht, offengelegt. „Störungen“, gegen die sich der Selbsterhaltungstrieb des Systems wehrt, entstehen da, wo Identität, Beziehungen, Prozesse und Tools verändert werden sollen.
Ein „Ergebnis“, das daraus oft entsteht, ist, dass eingefahrene Verhaltensmuster (Hierarchie, Silodenken, Kollaboration, Kundenpflege u.a.) ein hohes Maß an Stabilität gewonnen haben, die sich nur schwer wieder auflösen lässt.
Zusätzlich wird oft klar, dass neue Muster etabliert werden müssen, um weiter erfolgreich arbeiten zu können.
In der Praxis werden diese beiden Aspekte leider oft undifferenziert vermengt, und frustrierender Weise bleibt der Veränderungserfolg aus. Im Gegenteil – oft fühlen sich alle beteiligten und betroffenen Mitarbeiter*innen unverstanden und vor den Kopf gestoßen.
Wirksame Interventionen für den Soforteinsatz
Ein Schlüssel für den Erfolg kann folgende Differenzierung sein:
Der erste Schritt ist die Würdigung des Vorhandenen. In aller Regel gab es zu bestimmten Zeitpunkten gute Gründe dafür, dass Denk-, Handlungs- und Entscheidungsmuster entstanden oder sogar bewusst angelegt worden sind. Das gilt es anzuerkennen.
Der nächste Schritt ist die Unterscheidung in Vorgänge, die a) bisher getan wurden, aber in Zukunft besser zu lassen sind. Hier geht es um die Auflösung bestehender Muster.
In Differenzierung zu den Vorgängen, die b) unterlassen werden, aber besser getan werden sollten. Hier geht es um das Errichten neuer Muster.
Bei a) setzen typischer Weise die Abwehrmechanismen des Systems ein: Das haben wir doch immer so gemacht, und damit sind wir erfolgreich geworden.
Nur durch Überwindung der bestehenden Hierarchie- und Silohürden, mit vielen Perspektivwechseln und -erweiterungen mit Blick auf die Dynamik des Marktes werden hier die eingefahrenen Muster gestört werden können.
Dazu werden alle Mitarbeiter*innen des Unternehmens gebraucht, die mit den jeweiligen Problemen Tag für Tag umgehen.
Auch bei b) setzen die Abwehrmechanismen ein. Hier hilft ein Blick in unser bipolares Motivationsverhalten. Wenn meine Angst, das bestehende Verhalten aufzugeben, größer ist als die Lust auf Veränderung, werde ich mich nur schwer auf das Neue einlassen. Wenn die Angst, das Neue zu verpassen, größer ist als die Lust, das Alte zu behalten, werde ich neugierig auf das Neue werden.
Change versus Transformation
Klassische Changeprojekte versuchen passende Möhren in HR-Projekten und Motivationsveranstaltungen zu schnitzen, z.B. Incentives, Bonifikationen u.a., die dann den Mitarbeiter*innen aufwändig in Changeprozessen vor die Nase gespannt werden, um Verhaltensänderungen anzustoßen. Hier geschehen Veränderungen nicht aus gemeinsamen Erkenntnissen, sondern um die Möhren zu erhalten.
Sind die Möhren vertilgt, lösen sich oft auch viele der Veränderungen wieder auf.
In nachhaltigen Transformationsprozessen werden die Rahmenbedingungen von der Geschäftsleitung, den Führungskräften und allen Mitarbeitern gemeinsam gestaltet. Es wird der Raum dafür geschaffen, dass jeder Mensch im Unternehmen sein gesamtes Potenzial zum Nutzen der Kunden und Kundinnen einbringen kann. Die Mitarbeiter*innen- und Kundschaftszufriedenheit steigen an durch ein wesentlich höheres Maß an Identität und kollaborativer Zusammenarbeit.
Auch hier gibt es einen wirksamen Schlüssel, nämlich mit sich selbst in eine tiefe Reflexion zu gehen und die Bereitschaft zu ergründen, jedem Menschen durch die Brille des Y-Menschenbildes zu begegnen. Damit werden die Chancen vergrößert, dass alle Mitarbeiter*innen an der Gestaltung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens mitwirken.
Quellen: Radikal Führen – Reinhard K. Sprenger; Eine kurze Geschichte der Menschheit – Yuval Noah Harari; 66 Gebote – Thorsten Groth
Wenn sich Unternehmen im Sinne einer Transformation wirklich tiefgreifend verändern wollen, braucht es ein neues Verständnis von Veränderung. Das bedeutet für uns:
Weniger Veränderung IM bestehenden Organisationssystem und mehr Veränderung AM Organisationssystem.
Weniger Planen, Kontrollieren und Steuern von Veränderung und mehr Raum für das Entstehen lassen von Veränderung.
Weniger einen statischen Zustand A in einen statischen Zustand B überführen und mehr Veränderung als natürlichen, niemals endenden Prozess sehen.
Wer diese Perspektiven einnimmt, fragt nicht mehr nach dem Ende der Transformation, sondern nach dem Ende des Stillstands.
Die schlechte Nachricht:
Transformation bedeutet entgegen der Spielregeln des bestehenden Systems zu handeln. Und das erfordert jede Menge Entschiedenheit, Mut und Vertrauen.
Die gute Nachricht:
Entschieden, mutig und vertrauensvoll neue Wege zu gehen fördert gleichzeitig Entschiedenheit, M