Von Dieter Nuhr stammt das Zitat: „Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal die Fresse halten“
Kein schlechter Gedanke, aber es gibt bedeutsamere Gründe, sich mit dem Schweigen auseinander zu setzen – mit ungeahnten Chancen in der Auswirkung bei bewusstem Umgang damit.
Die Kraft des Schweigens – mach mal Pause
A: „…nachdem Ihr die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen an der Pinnwand präsentiert habt, wie schaut Ihr auf das Gesamtbild?“
Als nach 5sec keine direkte Antwort kommt, spricht A weiter: „Ok, dann teile ich jetzt meinen Eindruck dazu …………, wer möchte etwas dazu ergänzen?“
Nach weiteren 5sec ohne direkte Antwort sagt A: „Gut, dann gehen wir weiter zum nächsten Schritt.“
In der Pause teilt A mit seinem Kollegen B aus einer anderen Gruppe den Eindruck, dass er es mit einer stillen Gruppe zu tun hat.
Ist das wirklich so?
Die Pause im Sekundentakt
Es lohnt sich ein erster Blick auf die Wirkung von Sprechpausen, nach Sekunden sortiert, das kann jede/r ganz leicht ausprobieren.
Zwischen einem Satzende und dem nächsten Satzanfang wird eine Pause von 3-5sec gar nicht bewusst registriert. Sie fühlt sich ganz normal an.
Verlängert sich die Pause auf 5-10sec, sucht die zuhörende Person meistens den Blickkontakt zum Sprecher. Sieht dieser in die Ferne, wird es meistens als nachdenkliche Vorbereitung für die nächste Aussage gewertet; bei direktem Augenkontakt kann es auch als bewusste Pause gespürt werden, um eine getätigte Aussage in ihrer Bedeutung zu unterstreichen. Die zuhörende Person wird keine besondere Reaktion zeigen.
Verlängert sich die Pause in Richtung 15, 20, 25sec setzen unterschiedlich Reaktionen ein, vom fragenden Minenspiel über Füße wippen, sich im Stuhl rekeln, lachen o.ä. Die zuhörende Person kann das Schweigen nicht ohne weiteres einordnen, und damit auch nicht, welche Reaktion angemessen sein könnte – immer auch abhängig vom Kontext der Situation (Hierarchie, Kunde, Kollegen, Freunde, u.a.).
In aller Regel folgt aber spätestens nach 30sec, meistens früher, eine verbale Reaktion der zuhörenden Person. Unter normalen Umständen halten wir eine so lange Sprechpause ohne ersichtlichen Grund nicht aus.
Die Pause nach einer Frage
Es lohnt sich eine gesonderte Betrachtung nach gestellten Fragen, besonders spürbar bei Fragen an eine Gruppe (siehe Beispiel ganz oben).
Wenn die Fragen stellende Person sich der Pausenwahrnehmungen nicht bewusst ist, kann sie schnell in eine Falle tappen.
Die Normalität der 3-5sec Pause gilt ja auch für die sprechende Person. Wenn diese nach der gestellten Frage 3-5sec (normal) still ist, und es kommt keine Antwort, spricht sie einfach weiter; unbewusst läuft ab: „wenn ich keine Antwort bekomme, muss ich ja weitersprechen“ (unterbewusst auch: hoffentlich blamiere ich mich nicht mit der Frage, oder, hoffentlich findet die Gruppe die Frage nicht unangenehm).
Spielregeln entstehen
Passiert das auch nach einer zweiten und dritten Frage, sind die Spielregeln festgezurrt:
Die Teilnehmer der Gruppe geben keine Antworten (die sprechende Person macht ja einfach weiter)! Die sprechende Person spricht einfach weiter (die Teilnehmer der Gruppe wollen ja keine Antworten geben)!
Schade, dabei geht wahrscheinlich viel Dialog mit entsprechenden wertvollen Erlebnissen und Erkenntnissen verloren, was dann auch die Ergebnisse von Gesprächen/Veranstaltungen schmälert.
Eine kleine Rechenübung
Um Pausen, insbesondere nach Fragen, bewusst einzusetzen, hilft eine kleine Rechenübung:
3-5sec (normale Pause) + 3-5sec (Hörer realisiert die Pause – das ist eine Frage) + 5sec (Hörer rekapituliert die Frage) + 10sec (Hörer sucht/findet Antworten und wertet: dumme/kluge Antwort, blamieren/riskieren, angepasst/unangepasst, Ablehnung/Anerkennung usw.) = 21-25sec.
Die bewusst eingesetzte Pause
Was bedeutet das? Wer Fragen stellt und ernsthafte Antworten wünscht, sollte nach jeder Frage mindestens 30sec Schweigen, begleitet durch freundliches, leichtes Kopfnicken – die Chancen auf ergiebige Antworten erhöhen sich überproportional.
Das gilt für das 4-Augengespräch genauso wie für die an Gruppen gestellten Fragen. In Gruppen bietet sich noch ein Zwischenschritt an.
Lassen Sie die Frage zunächst 60sec zwischen den Sitznachbarn besprechen. Wenn eine Antwort vom Nachbarn akzeptiert und hinterfragt worden ist, fällt es oft leichter, das auch mit der ganzen Gruppe zu teilen.
Bösartige Manipulation oder wertschätzende Gestaltung
Jetzt kommen wohlmeinende Stimmen, die vielleicht bösartige Manipulation unterstellen. Als Antwort ein Zitat von Epiktet, der schon vor mehr als tausend Jahren erkannt hat:
Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.
Die Haltung aus dem Wunsch zwischen Steuern und Entstehen lassen sollte leitend sein in dem Sinn für die Befragten Räume zu öffnen, in denen sie ihr verborgenes Potenzial einbringen können und Wertschätzung für ihre Antworten erfahren, egal, ob den eigenen Vorstellungen entsprechen oder nicht. Daraus lässt sich dann ein lebendiger Austausch gestalten, Besprechbarkeit wichtiger Themen wächst, Vertrauen breitet sich aus.
Das sollte Werkzeug sein mindestens für alle Führungskräfte, Facilitators und auch Transformationscoachs.
Es bleibt dem Leser überlassen, die Gestaltung der Pause auf beliebig andere Gesprächssituationen zu adaptieren.
Wenn sich Unternehmen im Sinne einer Transformation wirklich tiefgreifend verändern wollen, braucht es ein neues Verständnis von Veränderung. Das bedeutet für uns:
Weniger Veränderung IM bestehenden Organisationssystem und mehr Veränderung AM Organisationssystem.
Weniger Planen, Kontrollieren und Steuern von Veränderung und mehr Raum für das Entstehen lassen von Veränderung.
Weniger einen statischen Zustand A in einen statischen Zustand B überführen und mehr Veränderung als natürlichen, niemals endenden Prozess sehen.
Wer diese Perspektiven einnimmt, fragt nicht mehr nach dem Ende der Transformation, sondern nach dem Ende des Stillstands.
Die schlechte Nachricht:
Transformation bedeutet entgegen der Spielregeln des bestehenden Systems zu handeln. Und das erfordert jede Menge Entschiedenheit, Mut und Vertrauen.
Die gute Nachricht:
Entschieden, mutig und vertrauensvoll neue Wege zu gehen fördert gleichzeitig Entschiedenheit, Mut und Vertrauen in der Organisation.
Ist Veränderung für dein Unternehmen ein notwendiges Übel oder Ausdruck der unternehmenseigenen Lebendigkeit?
Bist du bereit entschieden voranzuschreiten?
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