Eine solch kategorische Aussage kann nur unwahr sein. Doch, es steckt eine Wahrheit drin, die es lohnt zu betrachten.
Her mit dieser Potenzialentfaltung!
Potenzialentfaltung ist in vieler Munde. Potenzialentfaltung der Mitarbeiter:innen als Chance für Unternehmen, in eine höhere Performance der Mitarbeiter:innen und dadurch als Unternehmen gesamtheitlich zu kommen. Zeitgleich winkt das Versprechen, dass Mitarbeiter:innen, die ihre Potenziale am Arbeitsplatz besser einbringen können, auch zufriedener sind.
Als Mitarbeiter:in steckt in mehr Potenzialentfaltung am Arbeitsplatz die Möglichkeit, den persönlichen Sinnbezug mit der kollektiven Zweckverfolgung des Unternehmens bestmöglich unter einen Hut zu bringen.
Ein Kunde kauft vermutlich nicht wegen der Potenzialentfaltung der Mitarbeiter:innen bei diesem Unternehmen, doch ist es ein weiteres positives Argument – und wenn für ihn bessere Produkte oder Dienstleistungen durch engagiertere und innovativere Mitarbeiter:innen herausspringen, umso besser.
Eine Win-Win-Win Situation also, diese Potenzialentfaltung!
Wertschätzung für ein Mehr an Potenzialentfaltung
Als Menschen haben wir diverse Grundbedarfe, physische als auch emotionale Grundbedarfe . Als ‚wertvoll‘ betrachtet zu werden, gesehen und gewürdigt zu werden, gehört dazu. Und ähnlich wie unser Bedarf nach Nahrung über verschiedene Nahrungsmittel gestillt werden kann, so nähren wir unseren Bedarf nach diesem ‚(Selbst-)Wert‘.
Das individuelle Selbst(wert)verständnis erwächst potenziell aus zwei Quellen:
Letztere, Wertschätzung im Sinne von Anerkennung, Achtung, die für eine Leistung entgegengebracht wird, erfährt jemand, wenn eine hohe Übereinstimmung zwischen der Leistung und den Erwartungen der Kolleg:innen vorhanden ist.
Auf den ersten Blick sind wir also weiter in einer Win:Win Situation.
Die ‚andere Seite‘ von Wertschätzung
In der Win:Win Situation steckt auch ein Risiko: Je mehr jemand sein Handeln an der Wertschätzung von außen orientiert, umso weniger frei ist er/sie, neue Wege auszuprobieren, Potenziale, die er bisher nicht ausgelebt hat, zu verfolgen. Denn, neue Dinge anzugehen, bringt zunächst niedrige Kompetenzgrade und eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns als natürliches Element des Lern- und Entwicklungsprozesses mit sich.
Zusätzlich ist Potenzialentfaltung auch etwas sehr Persönliches. Individuelle Beiträge in Kompetenzfeldern, in denen jemand gut ist, die er jedoch nicht als für sich persönlich ‚sinnstiftend‘ betrachtet, mögen ihm wichtig sein, doch es steckt lange nicht das gleiche Maß an Herzblut drin. Und damit an Verletzbarkeit.
Hier liegt die Herausforderung: Gerade weil ein Potenzial so wertvoll für jemanden persönlich ist, ist seine Angst vor dem Versagen nochmal größer, die Angst, eben keine Wertschätzung zu erfahren.
Wer also davon ausgeht, dass Potenzialentfaltung ein natürlicher Trieb des Menschen ist, übersieht möglicherweise, dass bei einer ausgeprägten Ausrichtung an äußerer Wertschätzung dieser intrinsischen Motivation eine ebenso große Angst, eine intrinsische Demotivation gegenüber steht.
Potenzialentfaltung & Wertschätzung – so kann es gehen
Menschen kommen also besonders dann in ihre Potenzialentfaltung, wenn
- ihr (Selbst-)Wert eher stabil und stark ist,
- sie recht unabhängig von der Wertschätzung durch andere sind,
- Wertschätzung im Unternehmen eine gute Mischung aus dem notwendigen Feedback zum Beitrag des Einzelnen für die gemeinschaftliche Performance und der Anerkennung der endlosen Wertigkeit eines jeden Menschen ist.
Einladung zur Selbstreflexion:
- Woher kommt deine ‚Selbst-Wertschätzung‘?
- Wie abhängig bist du von Wertschätzung von außen?
- Wie machst du andere abhängig von äußerer Wertschätzung?
Blick auf Unternehmensstrukturen:
- Welche Strukturen im Unternehmen erwecken bei Mitarbeiter:innen den Eindruck, dass ihre Wertigkeit vorrangig an der Wertschätzung durch andere festzumachen ist?
- Welche Praktiken und Kultur sorgen für regelmäßiges Feedback zur erbrachten Leistung im Unternehmen? In welcher Weise ist Wertschätzung an sichtbare, messbare Leistung gekoppelt?
Du gabst uns stets das wohlige Gefühl, zu wissen, dass die Dinge gut werden, wenn nur jeder das macht, was ihm aufgetragen wird. Dank dir wussten wir immer genau, welche Aufgaben wir ohne schlechtes Gewissen ablehnen konnten, ohne dabei den von dir vorgezeichneten Karrierepfad zu gefährden. Es hatte schlicht etwas Bequemes, sich nicht um Dinge kümmern zu müssen, die wir nicht formal verantworten mussten.
Wer deine Kreativität unterschätzte wurde zeitlebens eines Besseren belehrt. Für jedes organisationale Problem hattest du die passende Stellenausschreibung parat. Wo wären wir heute ohne Chief Happiness Officer, Innovationsmanager oder Transformationskatalysatoren?
Unsere dynamisch vernetzte Welt machte dir jedoch kürzlich sichtbar zu schaffen. Stellenbeschreibungen, die immer detaillierter und länger wurden. Unsummen an Fähigkeiten, die kein Mensch mehr allein verkörpern konnte. Anforderungen an Berufserfahrungen, die viele Kandidaten ungläubig mit dem Kopf schütteln ließen. Dein Wunsch, die stetig wachsende Komplexität der Welt auf eine Summe messbarer Einzelteile herunterzubrechen, war ein hehrer – jedoch von Beginn an zum Scheitern verurteilt.
Wir verurteilen dich aber nicht. Leistung zu messen und zu bewerten ist und bleibt wichtig. Persönliche Klarheit und Verantwortlichkeit im Beitrag für das Unternehmen unverzichtbar. Die richtigen Menschen mit den richtigen Kompetenzen an Bord zu holen einer der Schlüssel für nachhaltigen Erfolg.
Der Weg dorthin wird in Zukunft jedoch eine andere Form annehmen. Weniger Personenkult, mehr Verbindung zum Unternehmenszweck. Weniger Funktionserfüllung, mehr Arbeit in dynamischen Rollen. Weniger Anpassung, mehr Gestaltung. Weniger Individuum, mehr Team. Weniger Fokus auf die Einzelteile, mehr Fokus auf die Verbindungen. Darauf freuen wir uns!
Dich bewegt etwas zum Abschied von der Stellenbeschreibung?
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