Per Videokonferenz treffe ich mich mit Nicole. Nachdem sie sich im Kontext des Konzern-weiten Leadership-Programms ihres Arbeitgebers engagiert hatte, bekam sie die Möglichkeit, von August 2018 bis Juni 2019 die Co-Lead Ausbildung zusammen mit einer Gruppe leitender Führungskräfte zu absolvieren. Über vier Module mit insgesamt 10 Workshoptagen und via einer Lernplattform erhielten die Teilnehmer Impulse zu Organisations- und Transformationsspezifischem Knowhow, zu Führungskompetenz (Können & Sein) und Selbstführung. Das Be- und Verarbeiten in der Gruppe zusammen mit konsequentem Feedback in der Gruppe und durch die Trainer sorgte zu tiefgehenden Erlebnissen, die zu weitreichenden persönlichen Entwicklungen führten als auch strukturelle Veränderungen anstießen.
Insbesondere durch die entschiedenen Transformationsmaßnahmen durch die Fachbereichsleitung ist Nicoles Führungsbereich stark gewachsen. Der Sog der Veränderung ist kontinuierlich spürbar.
Wir sprechen heute, um zurückzublicken und zu schauen, wie Nicole ihre Rolle immer wieder neu ausfüllt und mitgestaltet.
VaW: Wo bist du und wie geht es dir?
Nicole: Ich bin im Geschäft. Darüber bin ich glücklich. Mir fehlen die Menschen, wenn ich im Homeoffice bin.
VaW: Vor über einem Jahr endete für dich die Co-Lead Ausbildung. Zurückblickend, was ist in deinen Augen eine angemessene Beschreibung der Ausbildung?
Nicole: Zuerst mal, die Co-Lead Ausbildung hat für mich kein Ende. Der offizielle Abschluss war für uns 2019, aber danach ging’s weiter, es hat nie aufgehört.
Die Co-Lead Ausbildung war der Startschuss für was ganz, ganz Großes.
Was ist die Co-Lead Ausbildung? Vor allem ist es meine eigene Lernreise gewesen, ein Lernen, was sich grundlegend vom Lernen in von mir bisher besuchten Ausbildungen unterschieden hat.
Sie hat eine Tiefe gehabt, war positiv schmerzhaft, extrem wertvoll für die eigenen Stärken und die persönliche Transformation von mir und meinem Umfeld.
VaW: Dann nimm uns doch mit auf die Reise. Wie bist du in die Co-Lead Ausbildung hineingestartet?
Nicole: Zu Beginn konnte ich nicht zuordnen, was inhaltlich auf mich zukommt.
Die Ausschreibung hat mich extrem neugierig gemacht.
Als Führungskraft bin ich schon immer dem Bauch und Herz gefolgt. In der Vergangenheit konnte ich nicht einschätzen, woran es lag, dass ich anders geführt habe.
Deshalb war ich sehr dankbar, dass ich teilnehmen durfte. Die Co-Lead Ausbildung war für mich die Aufforderung und Möglichkeit, die Rolle der Führungskraft neu zu entdecken
VaW: Das macht uns neugierig. Was hast du entdeckt? Bzw. was machst du heute anders?
Nicole: Ich bin mir heute meiner Selbst bewusst. Ich treffe bewusstere Entscheidungen. Dank der Co-Lead Ausbildung kann ich mir eine klareres Bild von meinem Umfeld verschaffen, ich habe eine klarere Einschätzung der Probleme, die in meinem Umfeld auftauchen.
Diese Klarheit hat es mir ermöglicht, mich von dem Prinzip des ‚Wachsen im System‘ zu lösen, das meinen bisherigen Karriereweg geprägt hatte. Dieses Lösen oder auch Ent-Lernen hat viel Energie frei gemacht, hat Mut gemacht, ist die Grundlage für meine persönliche Transformation und auch der organisationalen Transformation, die ich jetzt mitverantworte.
Als junge Teamleiterin habe ich mich immer verglichen. Wo sind meine Schwächen, was muss ich aufholen? Dadurch habe ich mich selbst klein gemacht.
Durch die Co-Lead Ausbildung bin ich mir meiner Stärken bewusst geworden und weiß, wie ich sie am besten für die Organisation und das Unternehmen insgesamt einsetze.
VaW: Das klingt sehr kraftvoll und klar. Nun spielt bei den Veränderungen in dem, wie du deine Rolle als Führungskraft ausfüllst, nicht nur die Co-Lead Ausbildung eine Rolle, sondern auch die Tatsache, dass ihr diverse strukturelle Veränderungen in der Organisation vorgenommen habt. So gehörst du nun zu einem hierarchie-übergreifenden Führungsteam (GL) von drei Personen, das anstatt eines einzelnen Vorgesetzten nun euren Produktionsbereich von A-Z verantwortet.
Nicole: Ja, mein Kosmos hat sich komplett verändert. Von der rein operativen Verantwortung bin ich nun aufgefordert, insbesondere den organisationalen Rahmen zu gestalten und den Kollegen Orientierung zu ermöglichen. In der Balance zwischen operativer Performance und Vorantreiben der Transformation.
Vorher war es eine (vermeintlich) ‚schöne heile Welt‘. Ich war Teamleiterin in der Instandhaltung mit acht direkten Mitarbeitern und insgesamt 120 im Team. Das war schön, spannend auf seine Weise.
Nun hat sich der Kosmos für mich, aber auch alle um mich herum erweitert. Wir haben die kleine, heile Welt geöffnet.
VaW: Kannst du dies konkreter beschreiben?
Nicole: Die Lernreise der Co-Lead Ausbildung ist in einen Prozess des Rauslösens übergegangen, in ein gemeinsames Lernen mit dem gesamten Team.
Damit meine Mitarbeiter Verantwortung übernehmen können, müssen Rollen und Verantwortung entsprechend der Stärken neu zugeordnet werden. Befähigung ist ein ganz großes Thema.
Ich musste lernen, es reicht nicht zu sagen: „Ihr braucht mich nicht.“
Wir alle waren eine traditionelle Abstimmung in der Hierarchie gewohnt. Wenn in der Vergangenheit Fragen an mich vom Team gerichtet wurden, dann war es gut, schnell eine Entscheidung zu treffen. Alle waren glücklich, wenn ich die Entscheidung getroffen habe, weil: ich war ja Chef.
Das hatte aber zur Folge, dass ich immer wieder in gleiche oder ähnliche Entscheidungen reingezogen wurde.
Wir haben für uns alle als bedeutsames Lernfeld identifiziert, das Team so zu befähigen, so zu stärken, dass Entscheidungen in Zukunft selbst getätigt werden können. Das ermöglicht mir, immer weiter ein Stück zurückzutreten, so dass das Team immer mehr Selbstvertrauen hat, diese Art von Entscheidungen selbst treffen zu können.
Das ist nicht verwunderlich: sie sind die Spezialisten, bisher habe ich ja auch die Entscheidungen auf Basis ihrer Vorarbeit getroffen. Doch mit unserer bisherigen Entscheidungsstruktur haben wir das verhindert.
Da stehen wir gerade im Lernen.
VaW: Mittlerweile seid ihr in dem Prozess ja deutlich vorangeschritten und du bist mehr in deiner Rolle im Führungsgremium angekommen.
Nicole: Ja, das verschafft mir mehr Zeit, mich um die Transformation zu kümmern und in der GL Funktion zu wirken.
Ich bin einen Schritt aus der Teamleiterrolle raus und doch noch dabei. Mittlerweile gibt es ein gutes Verständnis im Team, dass sich die Rollen verändern. Am Anfang war da auch Enttäuschung, Wut von manchen Mitarbeitern, dass sie die Zeit für die neuen Entscheidungsstrukturen nicht aufbringen wollen. Doch jetzt entsteht Verständnis, der Blick fürs große Ganze kommt. Die Transparenz zu den Zielen der gesamten Transformation hat deutlich zugenommen. Das hilft sehr.
VaW: Wir schauen gerade gemeinsam auf den Prozess bzw. Aspekte davon. Es kommt das Gefühl auf: es ist anstrengend. Und vieles braucht Zeit, Geduld und Durchhaltevermögen.
Nicole: Wenn ich die Klarheit, die ich jetzt hab, schon damals gehabt hätte…
Christian (einer der Coaches in der Co-Lead Ausbildung) hat gesagt: „Die Co-Lead Ausbildung wird schmerzhaft sein und es werden nicht alle dabei bleiben.“
Das hat mich beschäftigt. Heute weiß ich, es ist eine gemeinsame Lernreise, sie erfordert ein Einlassen auf Themen, von denen ich noch nicht einmal weiß, dass ich sie nicht kenne.
VaW: In der Co-Lead Ausbildung sprechen wir gerne vom Ent-Lernen und Lernen.
Nicole: Wie sehr es in meiner Weiterentwicklung als Führungskraft auf das Loslassen von Liebgewonnenen, das Ent-lernen ankam, das war mir zu Beginn nicht klar. Mittlerweile habe ich die Notwendigkeit hiervon verstanden.
Während und auch nach der Ausbildung musste ich Verhaltensweisen, Haltungen und auch Personen loslassen, die bisher einen festen Bestandteil meines beruflichen Lebens, meines Handelns ausgemacht haben.
Das war gleichzeitig der entscheidende Wendepunkt, den Schritt nach vorne zu machen, für mich persönlich und für die Organisation.
VaW: Und Lernen? Dazu gehören auch die fachlichen Inhalte.
Nicole: Methoden, Konzepte, Instrumente; das komplette Lernmaterial war für mich hilfreich und auch ein bisschen erschlagend. Das ist kein Lernstoff, den man einfach durchliest.
Es war schnell klar, mit dem Lernstoff geht stets die Aufforderung zur Selbstreflektion einher: „Wie gehe ich aktuell damit um?“ und dann die Anwendung im Alltag: „Wie wende ich es an?“
Das Lernen liegt insbesondere im Ausprobieren, weil es am Ende die Anwendung in der Praxis ist, die den Wert ausmacht. Ich nutze noch heute meine Unterlagen.
VaW: In der Co-Lead Ausbildung seid ihr als Gruppe von Führungskräften aus deinem Fachbereich mit Kollegen aus anderen Abteilungen zusammengekommen, insgesamt drei Führungsebenen. Wie hat sich das ausgewirkt?
Nicole: Es ist eine individuelle und auch gemeinsame Lernreise. Das hat sich für mich ganz besonders in der (neuen) Erfahrung von echtem, klarem Feedback und Reflexion gezeigt. Dafür braucht es mindestens zwei Personen, die sich hierauf einlassen.
Hinzu kam der intensive Austausch mit anderen zu den Inhalten.
VaW: Abschließend, hast du eine Empfehlung an zukünftige Teilnehmer der Co-Lead Ausbildung?
Nicole: Es hat mir gutgetan, einen Vertrauten dabei gehabt zu haben. Die Vertrauten haben sich über die Zeit verändert. Sie lacht. Es darf ja wachsen!
Es passiert viel in der eigenen Beschäftigung. Aber ich allein bewirke ja gar nichts. Wir waren ein starkes Team in der Co-Lead Ausbildung.
Wenn sich Unternehmen im Sinne einer Transformation wirklich tiefgreifend verändern wollen, braucht es ein neues Verständnis von Veränderung. Das bedeutet für uns:
Weniger Veränderung IM bestehenden Organisationssystem und mehr Veränderung AM Organisationssystem.
Weniger Planen, Kontrollieren und Steuern von Veränderung und mehr Raum für das Entstehen lassen von Veränderung.
Weniger einen statischen Zustand A in einen statischen Zustand B überführen und mehr Veränderung als natürlichen, niemals endenden Prozess sehen.
Wer diese Perspektiven einnimmt, fragt nicht mehr nach dem Ende der Transformation, sondern nach dem Ende des Stillstands.
Die schlechte Nachricht:
Transformation bedeutet entgegen der Spielregeln des bestehenden Systems zu handeln. Und das erfordert jede Menge Entschiedenheit, Mut und Vertrauen.
Die gute Nachricht:
Entschieden, mutig und vertrauensvoll neue Wege zu gehen fördert gleichzeitig Entschiedenheit, Mut und Vertrauen in der Organisation.
Ist Veränderung für dein Unternehmen ein notwendiges Übel oder Ausdruck der unternehmenseigenen Lebendigkeit?
Bist du bereit entschieden voranzuschreiten?
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